Interview with Alicia Victoria

Josée Habermann, University of Twente

Alicia, ich finde es total super das du so transparent bist in Bezug auf, wo und wie, was hergestellt wird. Viele Unternehmen sind nicht so offen gegenüber ihren Kunden. Du warst 7 Monate in Kolumbien um die Produktion deiner Produkte zu begleiten. Ich kann mir vorstellen, dass es eine sehr eindrucksvolle Zeit war, in der du viel dazulernen konntest. Aber es war wahrscheinlich auch eine sehr herausfordernde Zeit, dadurch das deine Firme sich zu der Zeit noch in der Gründung befunden hat. Würdest du diese Phase als die größte Herausforderung für ein nachhaltiges Unternehmen betiteln oder gibt es noch andere Aspekte welche eine große Rolle spielen?

Ich denke, dass grundsätzlich für alle Unternehmer die Startzeit eine herausfordernde Zeit ist, weil man das Grundgerüst der Firma erst einmal erbauen muss. Man muss sich Gedanken darüber machen welche Rechtsform, welcher Name, welcher Stil zu einem passt – das sind sehr viele Dinge, die man am Anfang einmal festlegen muss. Für eine nachhaltige Firma ist die Herausforderung, die eigene Vision für andere greifbar zu machen. Wenn man ein nachhaltiges Konzept entwickelt sind das häufig, und so war es bei mir auch, Entwicklungen die neuartig sind, welche sich andere nicht vorstellen können bis sie das erste Mal ein Produkt in der Hand halten. In meinem Beispiel waren es die natürlichen Merkmale von Leder und der Wunsch nach mehr Natürlichkeit und weniger Rohstoffverschwendung. Ab dem Zeitpunkt wo das erste Produkt dann in den Verkauf gegangen ist, konnte ich meine Vision viel besser abbilden was unglaublich geholfen hat. Allerdings war die Zeit davor dementsprechend auch die schwierigste Phase. Es ist und bleibt eine stetige Entwicklung. Als ich angefangen habe die Produkte zu verkaufen war sehr vieles bereits entschieden, aber gerade im nachhaltigen Kontext kann es schnell uferlos werden – man wünscht sich so viel zu berücksichtigen wie nur möglich.

Meine ersten Produkte kommen aus Kolumbien. Es ist ein kleiner Familienbetrieb, welcher eng mit einer Gerberei zusammenarbeitet, wo klar ist, wie die Tiere gehalten werden. Ich musste mich aber auf das was mir gesagt wurde verlassen. Das hat den Ursprung das Leder keiner Kennzeichnungspflicht unterliegt und der Endverbraucher nicht nachvollziehen kann, woher das Leder stammt (welches Tier, wie lange hat es gelebt, wie wurde es gehalten). Dieselbe Problematik findet man aber auch in der Wertschöpfungskette. Der Designer der Leder einkauft muss sich darauf verlassen, dass die Angaben korrekt sind, da es keine Kennzeichnungspflicht gibt und somit war es für mich als Unternehmerin auch die Herausforderungen zu sagen “Ich starte jetzt in den Verkauf! Es ist für den Moment gut genug und die Entwicklung darf auch in der Öffentlichkeit stattfinden.” Die Produkte die jetzt zum Weihnachtsgeschäft auf den Markt kommen sind komplett in Deutschland gefertigt. Ich habe angefangen mit Biobauern und Ökojägern aus Deutschland zu arbeiten und mich mehr auf das Regionale zu konzentrieren. Die Fertigung findet komplett in Deutschland statt und so wird es sich immer weiterentwickeln. Ich hoffe, dass wir immer transparenter, immer konsequenter und nachhaltiger werden können.

 

Ich kann mir vorstellen, dass es ziemlich schwierig ist sich auf die Aussagen der Anderen zu verlassen, vor allem auch weil vieles heutzutage versprochen und dann doch nicht wie abgemacht ausgeführt wird. Solange dieses Vertrauen allerdings da ist, geht das Ganze in die richtige Richtung.

Das denke ich auch. Aber das Vertrauen der Endkonsumenten wurde, meiner Meinung nach, bereits extrem missbraucht durch viele Siegel, die auf den Markt gebracht worden sind, häufig nur mit den besten Absichten, bei welchen dann aber nach einer gewissen Zeit herausgestellt wurde, dass sie doch käuflich oder nicht so konsequent sind und somit nicht das sind, was sie versprechen. Das war für mich der Anlass zu sagen “Ich hole die Rohware bei den Bauern selber ab und mach mir selber einen Einblick davon” – verschaffe mir also den Einblick darüber wie es den Tieren geht, wie lange sie leben dürfen und wie die Haltung ist. Das ist meine Herangehensweise um gewisse Dinge sicherzustellen, aber der Endverbraucher muss wiederum auch mir vertrauen.

 

Ich glaube, dass der Endverbraucher auch genau auf diesem Vertrauen, dieser Transparenz, seine Kaufentscheidung bildet. Denkst du es gibt auch noch andere Faktoren, die sehr einflussreich sind? Zum Beispiel Qualität oder Preis.

Auf jeden Fall. Ich denke, dass wir gesellschaftlich so erzogen worden sind, dass wir auf den Preis zu viel Wert legen. Ich glaube, dass dieses Belohnungsgefühl was losgetreten wird, wenn man 5 Euro oder 15 Euro sparen kann leider zu stark ausgeprägt ist. Man geiert im Endeffekt danach Geld zu sparen. Als Beispiel: Ob man sich ein paar Lederschuhe für 500 Euro kauft welche dann aber auch über 7 – 8 Jahre lang mit einer guten Pflege getragen werden können oder ob man sich für 50 Euro ein bis zweimal im Jahr Lederschuhe kauft, kommt am Ende auf dasselbe hinaus. Man unterstützt aber den richtigen Trend. Die Werte ‘Preis-Leistungsverhältnis’ auf die momentan geachtet wird sind nachvollziehbar, aber die Verantwortung, die jeder Einzelne trägt sollte geschärft werden. Auch wenn man vielleicht als Einzelperson das Gefühl hat keinen Einfluss zu haben, wenn man sich ins Bewusstsein rufen, das man zu preiswerten Anbietern geht, von denen man weiß die Näher und Näherinnen werden nicht fair bezahlt und die Leute sind Pestiziden und Schadstoffen ausgesetzt, wenn man als Konsument genau das meidet, dann kann diese Industrie auch nicht weiterwachsen und daher denke ich, dass genau diese Werte mehr in den Vordergrund rücken sollten.

 

Der Endverbraucher trägt also nur minimal zur Veränderung bei, mit zum Beispiel einem gesteigerten Bewusstsein für nachhaltige Mode und dem dadurch geänderten Kaufverhalten, aber im Großen und Ganzen sind es die Firmen und die Regierung die etwas unternehmen müssen.

Am Ende braucht es beides. Wenn an der einen Seite immer weiter Gift in den Fluss gekippt wird, dann können am anderen Ende des Flusses so viele Leute wie möglich mit anpacken und versuchen ihn zu reinigen, aber schlussendlich wird sich nicht viel ändern.

 

Es ist also ein Zusammenspiel von allen. Man kennt es ja selber: Man geht einkaufen und nimmt sich vor die Produkte bewusster auszuwählen, aber am Ende wird man zum Kauf von etwas komplett anderem verleitet einfach, weil es so viel Auswahl gibt. Und vieles davon ist leider nicht nachhaltig, was sich ja nicht nur auf die Materialien bezieht, sondern auch auf die Bezahlung der Arbeiter oder die generelle Herstellung. Da spielen ganz viele Faktoren ja eine Rolle.

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